Der Kormoran im Fokus

von Sandra Julius

Im Herbst zur Zeit des Vogelzuges finden sich jeweils einige Hundert bis wenige Tausend Kormorane am Greifensee ein. In Schwärmen ziehen die bläulich-schwarz schimmernden Vögel mit den türkisfarbenen Augen übers Wasser und jagen gemeinsam nach Fischen, um sich für den Weiterflug in den Süden zu stärken – ein faszinierendes Naturschauspiel, das momentan wieder gut zu beobachten ist. Grund genug, den Kormoran etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Wenn im September die Tage langsam kürzer und die Nächte kühler werden, beginnt die Zeit des Vogelzuges. Wie viele andere Zugvögel machen sich auch die Kormorane auf den Weg in ihre Überwinterungsgebiete. Während unsere Brutpaare vom Greifensee – 2022 waren es rund 150 – grossmehrheitlich in den Süden ziehen, legen Kormorane aus nördlicheren Gebieten zwischen September und November gerne eine Pause am Greifensee ein, bevor auch sie weiter in wärmere Gefilde fliegen. In dieser Zeit kann der Kormoranbestand je nach Jahr und nur für wenige Wochen zwischen einigen Hundert auf bis zu 3’000 Vögel anwachsen. Etwas später folgt dann aus dem Norden eine weitere Gruppe der blau-schwarzglänzenden Wasservögel, die am Greifensee einige Monate überwintert.

Gemeinsame Brutkolonien
Kormorane sind gesellige Vögel. Sie brüten in Kolonien, je nach der Beschaffenheit des Geländes, in Nestern auf Bäumen und auch am Boden. Am Greifensee haben sie sich auf den Bäumen beim Aaspitz und seit 2019 auch an einem Standort in Maur niedergelassen. Ihre meist kahlen Nistbäume sind schon von weitem zu sehen. Da der Kot der Kormorane ätzend ist, verlieren die Brut- und Schlafbäume und deren benachbarte Büsche ihre Blätter und sterben mit der Zeit ab. Was für manch menschliche Augen zunächst wie Zerstörung anmutet, gehört zum natürlichen Kreislauf und schafft wertvolle Lebensräume für eine Vielzahl an Arten: Insekten siedeln sich an, Spechte hämmern sich Bruthöhlen in das stehende Totholz, die später auch von Fledermäusen genutzt werden. Aufgrund des fehlenden Blätterdachs gelangt wieder mehr Licht bis zum Uferboden. Dadurch können neue Pflanzen wachsen, die wiederum vielen Tieren Nahrung und Schutz bieten.

Gemeinsames Jagen
Wenn frühmorgens Nebelschwaden über den Greifensee ziehen und sich die Kormorane in Schwärmen dicht über der Wasseroberfläche auf die Jagd nach Fischen machen, ist dies ein Naturspektakel. Gemeinsam jagen Kormorane kleine Schwarmfische, die ihnen als Hauptnahrung dienen und die sie direkt unter Wasser verschlingen. Nur mit besonders grossen und widerspenstigen Beutefischen tauchen Kormorane auf. Ein Kormoran frisst pro Tag rund 300 bis 500 Gramm Fisch. Er ist ein Nahrungsopportunist, der hauptsächlich häufige Fischarten jagt. Am Greifensee lässt sich auch mit steigender Kormoranpräsenz laut der Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons Zürich (FJV) bei den Fischfangzahlen der Fischer kein Negativtrend feststellen – die Fangzahlen schwanken im üblichen Rahmen, der Fischbestand im Greifensee ist gut.

Exkurs Nährstoffgehalt des Greifensees
Der stabil hohe Fischbestand wird unter anderem vom hohen Nährstoffgehalt des Greifensees begünstigt – er bildet die Futterbasis für die Fische. Andererseits fördert insbesondere der immer noch zu hohe Phosphorgehalt das Algenwachstum und trägt zum Sauerstoffmangel bei. Gemäss dem Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) betrug die mittlere Phosphorkonzentration im Greifensee 2024 zwischen 0,04 und 0,045 mg P/l. Angestrebt ist ein Zielwert von 0,025 mg P/l. 1969, am Höhepunkt der Belastung, wurde eine mittlere Konzentration von 0,5 mg P/l gemessen. (Zusätzliche Informationen zur Wasserqualität gibt es hier: https://www.zh.ch/de/umwelt-tiere/wasser-gewaesser/messdaten/gewaesserqualitaet-seen.html)  
Wenig Sauerstoff in tiefen Lagen nahe dem Seeboden stellt ein Problem für die Vermehrung gewisser Fischarten wie zum Beispiel der Felchen dar – ihr Laich sinkt auf den schlickigen Grund und versinkt dort. Da die Arterhaltung für die FJV oberste Priorität hat und Felchen sowohl für Sportfischer als auch für den Berufsfischer eine beliebte Zielart sind, werden im Greifensee jedes Jahr rund sieben bis neun Millionen Felchenbrütlinge ausgesetzt. Hingegen konnte der Besatz mit Hechten in allen Zürcher Seen seit einigen Jahren eingestellt werden, weil die natürliche Fortpflanzung gemäss FJV überall genügend bis sehr gut funktioniert.

Gemäss Schätzungen des AWELs wurden in den Jahren 2020 bis 2023 pro Jahr 7,3 Tonnen Phosphor aus externen Quellen in den Greifensee eingetragen. Um den Zielwert von 0,025 mg P/l zu erreichen, dürfte der Phosphoreintrag pro Jahr bei maximal 3,4 Tonnen liegen. Der weiterhin zu hohe Phosphorgehalt im Greifensee ist das Ergebnis einer Kombination aus externen Einträgen und internen Prozessen. Trotz der verbesserten Reinigungsleistung der Abwasserreinigungsanlagen (ARA) und des Ausbaus der Siedlungsentwässerung gelangt immer noch zuviel Phosphor in den See. Auch Phosphoreinträge aus diffusen Quellen im Einzugsgebiet, wie beispielsweise aus der Landwirtschaft, tragen weiterhin zur Belastung bei. Die geringe Tiefe des Greifensees – maximal 32,3 m bei einer mittleren Tiefe von 17,6 m; zum Vergleich: der Zürichsee ist an seiner tiefsten Stelle 136 Meter tief und die durchschnittliche Tiefe beträgt 51,7 Meter – und der tiefe Sauerstoffvorrat machen den See während der Schichtungsperiode im Sommer von Natur aus anfällig: Der Sauerstoffmangel am Seeboden führt dazu, dass sich Phosphor aus den Sedimenten lösen kann, welches die Seezirkulation aus den tieferen Schichten an die Oberfläche transportiert, wo es das Algenwachstum fördert.

Auch der Kot aller Wasservögel enthält Phosphor – das ist ein ganz normaler Bestandteil des Kots bei Vögeln generell. Der Koteintrag der Wasservögel macht jedoch einen vernachlässigbar kleinen Anteil am Nährstoffgehalt des Greifensees aus.

Jäger und Gejagter
Der Kormoran ist eine einheimische Art, die seit historischen Zeiten bei uns brütet und überwintert. Dennoch machte und macht ihn die Tatsache, dass er sich von Fischen ernährt und sich damit mit dem Menschen eine gemeinsame Ressource teilt, vom Jäger zum Gejagten. Auch der Umstand, dass viele Menschen schwarze Tiere als gefährlicher und aggressiver wahrnehmen als andersfarbige macht es dem Kormoran nicht leicht.

In den 1960er-Jahren war er in der Schweiz aufgrund der starken Bejagung fast ausgestorben. Seit er unter Schutz gestellt wurde, erholte sich sein Bestand rasch. 2020 wurden in der Schweiz 2468 Brutpaare gezählt. Während er in den benachbarten EU-Ländern ganzjährig unter Schutz steht und nur mit einer Sonderbewilligung gejagt werden kann, darf er in der Schweiz ausserhalb von Schutzgebieten weiterhin während des Winterhalbjahres erlegt werden. Vom 1. Februar bis zum 31. August gilt auch in der Schweiz eine Schonzeit.
Eine Studie von 2008 zum Management des Kormorans am Neuenburgersee betont, dass sowohl der in der Schweiz überwinternde als auch der bei uns brütende Kormoranbestand in ein räumliches System eingebettet sind. Dieses räumliche System reicht von Skandinavien bis ans Mittelmeer und innerhalb dieses Raums lässt sich das hiesige Brutvorkommen nicht klar gegenüber anderen Vorkommen abgrenzen. Wird beispielsweise eine Kolonie bejagt oder erleidet sie natürliche Ausfälle, so ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass andere Individuen aus diesem räumlichen System den Platz einnehmen, weshalb die lokale Bejagung als Regulierungsmassnahme wenig Wirkung zeigt. Grösseren Einfluss auf die Kormoranpopulation haben die Verfügbarkeit von geeigneten Nistplätzen und das Nahrungsangebot.

Schutz der Fische – Notwendigkeit des Schaffens geeigneter Lebensräume
Fische gehören zu den am stärksten gefährdeten Tiergruppen der Schweiz. Menschliche Aktivitäten sind der Hauptgrund für ihren Lebensraumverlust. Insbesondere an kanalisierten Gewässern kann starker Beutefang von Kormoranen seltenen Fischarten zusetzen. Hier kann in Einzelfällen die Vergrämung – ein Kormoran wird erlegt, der Rest des Schwarms flieht – sinnvoll sein. Der Beschuss an Seen hingegen birgt immer die Gefahr, dass die Kormorane auf die oft begradigten Zuflüsse ausweichen und der Frassdruck auf die Fische, wie oben beschrieben, erst recht steigt. In gesunden Wasserlebensräumen fördern genügend Unterwasserstrukturen, Schwimmblattbestände und Schilfgürtel Jungfische und leisten einen Beitrag zur Belebung der Gewässer. Für den Schutz und den Weiterbestand stark bedrohter Fischarten sind die Revitalisierung weiterer Gewässer, das Hinwirken auf gesunde Wasserökosysteme und das Wiederherstellen natürlicher Lebensräume die Massnahme, von der Fische, fischfressende Vögel, Fischer und das gesamte Ökosystem am meisten profitieren.

Gut zu wissen
Der Greifensee ist ein Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung. Sowohl der See als auch die hier brütenden, rastenden und überwinternden Vögel stehen unter strengem Schutz. Eine Vergrämung oder gezielte Bejagung des Kormorans steht am Greifensee nicht zur Diskussion. Der Berufsfischer und die Hobbyfischer sind die einzigen (Privat-)Personen, die, trotz der strengen Schutzbestimmungen des Wasser- und Zugvogelreservats, im Greifensee Tiere fangen und töten dürfen, sofern sie den Rahmen der gesetzlich geregelten Ausübung der Fischerei einhalten.

 

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